Der Topopholia-Effekt

Post Office im Freilichtmuseum Luckenbach, Texas, USA

Vor einiger Zeit fiel mir das Buch „Der Topopholia-Effekt“ der Historikerin Roberta Rio in die Hände. Das weckte Erinnerungen an die Anfangszeit meiner Selbständigkeit. Damals in den 2000er Jahren enthielt mein Portfolio eine besondere Analysemethode, mit der man die Qualitäten eines Platz oder Ortes identifizieren kann.

Diese Qualitäten sind ausschlaggebend, ob ein Business von Erfolg gekrönt ist, ob es zu Streit oder sogar zum Scheitern der Unternehmung kommt. In diesem Beitrag nehme ich euch mit in die Welt der unsichtbaren Wirkungen von Räumen und Plätzen.

Der Topopholia-Effekt

„Wie Orte auf uns wirken“ – so der Untertitel des eingangs zitierten Buchs – beschäftigt mich seit 1998. Ich nahm damals im Herbst desselben Jahres an einer kulturlandschaftlichen Tagung der Universität Bern teil und bekam dabei eine Publikation von Georges Grosjean in die Hände. Seine Art in einer Landschaft Qualitäten zu lesen, faszinierte mich auf Anhieb.

Räume kommunizieren

Zeitgleich absolvierte ich damals zwischen 1998 und 2007 eine Reihe an baubiologischen, systemisch-ganzheitlichen und radiästhetischen Ausbildungen. Und ich hielt Vorträge über das Thema, wie Landschaften auf uns Menschen wirken u.a. auch an der Karl Franzens-Universität Graz (Ästhetische Raumwahrnehmung in der Geografie; siehe Literaturliste), was mich teilweise auch wunderte, war doch die Geografie als Wissenschaft Anfang der 2000er Jahre so gar nicht offen für dieses transzendente Thema.

Auch war ich an der Konzeption einer Ausbildung zum Lebensraumberater der VITAK Linz beteiligt und hatte eine eigene Ausbildung zu einem ähnlichen Thema mit einem Kollegen Mitte der 2000er Jahre ins Leben gerufen.

Dieser Kollege arbeitete damals in der betrieblichen Gesundheitsvorsorgeberatung. Und wir stellten beide fest, dass eine gute energetische Wahl eines Geschäfts- oder Wohnortes eine besondere Form der Gesundheitsprävention darstellt. Ausdruck dieser Arbeit war das damals gemeinsam gegründete Institut für ganzheitliche Beratung (IGB) und mein erstes veröffentlichtes E-Book mit dem Titel „Neues Feng Shui fürs 21. Jahrhundert. Intuitive Gestaltung und Brücken zum Schamanismus.“

Topopholie – Ist das Wissenschaft?

Auf wissenschaftlicher Ebene erschienen die ersten Arbeiten zu Raumqualitäten und ihrer ganzheitlichen Interpretation schon in den 1990er Jahren. Diesen Publikationen ist eines gemein: Sie schreiben Räumen und Orten eine bestimmte Qualität zu, welche an die dort lebenden Menschen übertragen wird. Alle diese Arbeiten berufen sich u.a. auch auf Carl Gustav Jung und seine Ausführungen zum kollektiven Unbewussten.

Mich selbst führte die Beschäftigung mit Raumqualitäten im Februar 2008 sogar in die USA. Ich traf dort einen Vertreter der humanistischen Geografie, Steven Hoelscher, an der University of Texas in Austin. Denn ich sondierte ein mögliches Dissertationsthema, das bei Prof. Diedrich Bruns und Prof. Detlev Ipsen an der Universität Kassel möglich gewesen wäre.

Was heute in der deutschsprachigen Geografie als Sozial- und Kulturgeografie bezeichnet wird, erfuhr bereits 30 Jahre zuvor in der englischsprachigen Geografie eine differenziertere Ausprägung als "Humanistische" oder "Behavioristische Geografie". Maßgeblich wirkte in diesem Fach der amerikanische Humangeograf Yi-Fu Tuan, dessen Schüler Steven Hoelscher ist.

Langer Rede kurzer Sinn, Landschaften und Orten können Archetypen, nach Carl Gustav Jung, zugewiesen werden. Diese wirken auf die dort lebenden Menschen auf einer unterbewussten Ebene. Diese Archetypen zeigen sich als Repräsentationen im geografischen Raum, die einem eigenen Code unterliegen. Dieser Textcode („Landschaft als Text“) wirkt scheinbar unsichtbar auf die Psyche der Menschen, die in diesen Landschaften und geografischen Räumen leben.

Yi-Fu Tuan erklärt mit dieser Wechselwirkung zwischen Raum und Mensch die Angewohnheit vieler Menschen, über zig Jahre hinweg immer am selben Ort den Urlaub zu verbringen. Der Grund, diesen Ort laden wir Menschen mit Emotionen auf, die derselbe dann an uns wieder „abgibt“, weil wir ihn in unserem Unbewussten in dieser Kombination aus Ort/Platz und Gefühl/Emotion verankert haben. Dieses Ortserleben führt dann auch zu einem speziellen Verhalten an diesem Ort, was in weiterer Folge Repräsentationen hervorbringt.

siehe Yi-Fu Tuan: Space and Place. The Perspective of Experience.

Warum scheitern Unternehmungen und Projekte?

Warum war für mich diese ganzheitliche und systemische Sichtweise von Landschaften und geografischen Räumen so wichtig?

Bis Anfang 2008 engagierte ich mich als Entwicklerin und Beraterin in der Regionalentwicklung, indem ich Schulungen für Angebotsentwicklungen für Stakeholder aus Wirtschaft und Tourismus durchführte. Dabei fiel mir auf, dass viele gut gemeinte Projekte ohne ersichtlichem Grund scheiterten. Ich wollte diesem Scheitern auf die Spur kommen und so landete ich bei der humanistischen Geografie. Denn anscheinend gibt es eine „unsichtbare“ Wirkung, die ein Projekt, das nicht zur Energie und Ausstrahlung (Charakter) einer Landschaft passt, einfach verhindert.

Klingt schräg, je genauer ich jedoch die Regionen analysierte, für die ich tätig war, umso mehr verdichtete sich meine These, dass für manche Projekte noch andere „Kräfte“ im Spiel sind. Gleiches gilt für Unternehmen und ihre Firmenstandorte.

Angelika Wohofsky

Sollte man in Landschaften wie in einem Buch lesen können, was in diesen vorgeht? Wie die Menschen dort zu denken und zu handeln gelernt haben und was ihnen wichtig und unwichtig erscheint? Welches Kernverhalten diese in einer Art kollektivem Unbewussten von Generation zu Generation wiederholt wird? Genau an diesem Punkt knüpft der „Topopholia-Effekt“ von Roberta Rio an.

Beispiele des Topopholia-Effekts

Die folgenden Beispiele für den Topopholia-Effekt sind meiner Praxis entnommen. Diese ganzheitliche Analyse hilft mir, schnell zum Auslöser des Problems zu gelangen. Erst danach kann eine wirklich nachhaltige Lösung möglich sein.

Ich möchte hier noch anmerken, dass auch virtuelle Räume auf diese ganzheitliche Art gelesen werden können. Ähnlich des psychodramatischen Ansatzes in der Psychotherapie wird die bildhafte Darstellung und das angebotene Userverhalten von digitalen Repräsentationen analysiert. Denn hinter jeder digitalen Bühne (Website oder Social Media Profil) steckt ein kollektives Unbewusstes, wobei sich „kollektiv“ auf das Kollektiv des Unternehmens und seiner handelnden Personen bezieht.

Beispiel Website digitaler Raum

Auf einer Firmenwebsite sieht man im Titelbereich, neben dem Logo, ein Kürzel, bestehend aus 3 hellblauen Buchstaben vor dunkelblauem Hintergrund. Die Menübeschriftung ist zudem in einer sehr feinen Schriftart designt, sodass sie beinahe unleserlich wirkt.

Das Buchstabenkürzel wirkt irgendwie dazugepickt, so als hätte man es noch einfügen müssen. Auf jeden Fall wirkt es, als sei es im Designentwurf nicht berücksichtigt worden.

Auf Nachfrage, welche Bewandtnis es mit diesem Kürzel habe, erfuhr ich von folgender Notlösung. Man hätte eine Kurzform der Firmenbezeichnung benötigt, um diese auf sehr kleinflächige Produkte des Unternehmens in Form eines Aufklebers zu kleben. Also nichts Digitales.

Eine solche Notlösung, die noch dazu nicht zur digitalen Verwendung gedacht war, spürt der Websitebesucher. Obendrein wird die Bedeutung dieses Kürzels auf der Website nicht erklärt. Man lässt die Websitebesucher im Dunkeln und vermittelt so unbewusst große Intransparenz und Verborgenheit. Man möchte sich nicht in die Karten schauen lassen.

Auch die Bildauswahl dieser Website lässt sehr viel Raum zur Interpretation zu und führt nicht eindeutig zum Produkt. Technische und Designfehler runden diese Website ab. Wir haben hier also Handlungsbedarf auch hinsichtlich einer transparenten Kommunikation und dem Selbstvertrauen, sich in der (digitalen) Öffentlichkeit klar und eindeutig zu positionieren. Ergänzung: Das Unternehmen hat Umsatzprobleme und steckt in einer Strategiekrise.

Beispiel einer hohen Mitarbeiterfluktuation

Ein Familienbetrieb, seit mehr als 30 Jahren am Markt, übersiedelt in ein neues Firmengebäude und wächst daraufhin unkontrolliert stark. Das neue Firmengelände ist Teil eines zuvor landwirtschaftlich genutzten Grundstücks, das von einer Bahntrasse und einer Verbindungsstraße im Süden begrenzt wird.

Direkt im Osten angrenzend befindet sich ein dominantes Industriegebäude, welches sein Produktionsmaterial den Grenzzaun entlang wallartig aufschüttet. Sich quasi zum Nachbarn hin abschottet und diesem den Blick auf vier Meter hohen Geröllwall freigibt.

An der äußersten Ecke der landwirtschaftlichen Fläche, die von der Bahntrasse begrenzt wird, befindet sich ein energetischer Hotspot in einer leichten Rechtskurve, an dem in der Vergangenheit viele Menschen Selbstmord begingen. Vom Firmengebäude und den Büroräumlichkeiten der Mitarbeiter blickt man direkt auf diesen Hotspot.

Die Mitarbeiterfluktuation in diesem Unternehmen ist seit dem Umzug extrem hoch. Manche neu Hinzugekommenen kündigten innerhalb der ersten drei Monate. Zuvor agierte das Unternehmen als enger Zirkel, bestehend aus langjährigen Mitarbeitenden und somit engen Vertrauten des Unternehmens. Langjährige Mitarbeiter, die vom alten Firmensitz mit übersiedelt waren bekamen ernste gesundheitliche Probleme, kündigten und fügten sich in die neu entstandene Firmenkultur aus Tratsch, Neid, Missgunst und Ausgrenzung ein, die selbst vor den Unternehmensinhabern nicht halt machten.

Beispiel Entwicklungsprojekt ländlicher Raum

Eine stark ländlich geprägte Talschaft mit wirtschaftlicher Strukturschwäche versucht seit Jahren mit einem touristischen Großprojekt die Region zu beleben. Man will das gesamte Tal mit einer Hängebrücke überspannen.

Mit demselben hohen Einsatz, mit der die externen, von außen kommenden Planer versuchen, ihr Projekt umzusetzen, wehrt sich die einheimische Bevölkerung gegen dieses. Regelrechte „Glaubenskriege“ spalten mittlerweile die Bevölkerung in diesem Tal ob des Projekts.

Eine Analyse der Repräsentationen dieser Talschaft zeigt, dass selbst in historischer Zeit nie Brücken von solcher Dimension durch die ortsansässige Bevölkerung errichtet wurden. Vielmehr nützte man unauffällige Bohlenwege, um die vielen kleinen Bäche zu überwinden, oder man ging auf serpentinenförmig angelegten Steigen die Hänge hoch.

Jede Investition, jeder Einsatz, jeder Versuch gute Stimmung für das Großprojekt Hängebrücke zu machen, war bis dato gescheitert. Ergänzung: Die Brücke steht bis heute nicht. Ich glaube, das Projekt ist heute nicht mehr relevant. Die Bevölkerung scheint sich durchgesetzt zu haben.

Fazit zum Topopholia-Effekt

Nicht allein aufgrund der Bereitschaft einer deutschen Universität, über die Kommunikation von Räumen und ihrer Qualitäten bei ihr zu dissertieren, bin ich überzeugt, dass jede Form von Raum, ob anthropogen oder virtuell oder als Naturraum, eine unbewusste Information in sich trägt.

Wenn du dich von diesem Thema besonders angesprochen fühlst und möglicherweise ein Unternehmen führst, das von scheinbar unerklärlichen Ereignissen „gequält“ wird, dann schreib mir eine E-Mail. Vielleicht liegt der Auslöser dieser Ereignisse im kollektiven Unbewussten und damit direkt vor deiner Nase. Du siehst ihn nur nicht, weil du Teil dieses unbewussten Systems bist.


Bei diesem grenzwissenschaftlichen Thema weise ich ausdrücklich darauf hin, dass in meinen Publikationen auch immer der Versuch einer wissenschaftlichen Begründung wahrgenommener Phänomene unternommen wird. Wenn ich keine Ursachen und evidenzbasierte Begründungen finde, werde ich darauf auch immer in meinen Artikeln verweisen. Denn das darf und muss auch Wissenschaft leisten, zuzugeben, dass man Phänomene (noch) nicht erklären kann.
Wenn ich über ganzheitlich-systemische Themen schreibe, dann IMMER dabei bemüht, nachweisbare Fakten zu liefern. Ich nehme mir dieses Recht heraus, da ich selbst tief in der Esoterik vor vielen Jahren drin war und die Grenzen hin zum Esotainment und der Scharlatanerie ausloten durfte; ich seit 2007 die Esoterik ob ihrer intrinsischen Gefahr einer sektiererischen Irrlehre scharf kritisiere. Ich distanziere mich ausdrücklich von esoterischen Lehren jeglicher Art und bin damit der Wissenschaft verpflichtet, im Bewusstsein, dass es grenzwissenschaftliche Themen gibt, die wir interdisziplinär erforschen dürfen. Wissenschaft soll erklären und Fortschritt bringen.

Quellen

Paul C. Adams, Steven Hoelscher, Karen E. Till: Textures of Place. Exploring Humanist Geographies. Minneapolis: University of Minnesota Press 2001.

Stefan Brönnle: Landschaften der Seele. Landschaften, Geomantie und ihre Auswirkungen auf die menschliche Psyche. Schirner: 2006.

Anne Buttimer: Geography and the Human Spirit. London: The Johns Hopkins University Press 1993.

Erwin Frohmann: Gestaltqualitäten in Landschaft und Freiraum abgeleitet von den körperlich-seelischen-geistigen Wechselwirkungen zwischen Mensch und Lebensraum. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Wien: Österreichischer Kunst- und Kulturverlag 2000.

Petra Gehringer: Geomantie. Wege zur Ganzheit von Mensch und Erde. Vollständig überarbeitete Neuauflage. Neue Erde Verlag: 2002.

Georges Grosjean: Aesthetische Bewertung ländlicher Räume – am Beispiel von Grindelwald im Vergleich mit anderen schweizerischen Räumen und in zeitlicher Veränderung. In: Schlussbericht zum Schweizerischen MAB-Programm Nr. 20. Bern: 1986.

Detlev Ipsen: Ort und Landschaft. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften 2006.

Yi-Fu Tuan: Space and Place. The Perspective of Experience. Fifth Printing. Minneapolis: University of Minnesota Press 2007.

Yi-Fu Tuan: Topophilia. A Study of Environmental Perception, Attitudes, and Values. New York: Columbia University Press 1990.

Angelika Wohofsky: Ästhetische Raumwahrnehmung als Arbeitsgebiet für GeografInnen: Feng Shui und Geomantie im Planungsprozess. In: GEOGRAZ 35 (2004), S. 9-10. URL: https://unipub.uni-graz.at/geograz/periodical/pageview/214969 [abgerufen am 5. Mai 2021].

Angelika Wohofsky: Feng Shui fürs 21. Jahrhundert. Intuitive Gestaltung und Brücken zum Schamanismus. Berlin: Neopubli GmbH 2020. 96 Seiten.

Angelika Wohofsky: Sozialgeografische Essays über Landschaften, Räume und ihre Qualitäten. Berlin: Neopubli GmbH 2020. 44 Seiten.

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Die Autorin ist gelernte Geografin und Germanistin. Sie arbeitet als Honorardozentin und Fachautorin für Lernmittelerstellung im Themengebiet von Digitalisierung, Medien, Kommunikation und Wirtschaft. Wohofsky hat einen Master in Online Media Marketing und bildet sich seit 25 Jahren in verschiedenen ganzheitlich-systemischen Disziplinen weiter. Die bei diesen Ausbildungen erworbenen Kenntnisse nützt sie heute primär für ihre Lebensgestaltung. Angelika Wohofsky lebt und arbeitet in der Steiermark, Österreich.

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